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Sequence of Returns: Dieses Risiko musst du verstehen

Selbst nach 40 Jahren ununterbrochenen Investierens kannst du nicht sicher sein, dass du mit einem Aktienportfolio einen ordentlichen Gewinn erzielen wirst.

Das war die Quintessenz unseres letzten Blogartikels über das Weltportfolio.

Die gezeigten Zahlen beziehen sich allerdings nur auf eine Einmalanlage. In diesem Artikel sehen wir uns an, was passiert, wenn noch regelmäßige Ein- und Auszahlungen dazukommen.

Dafür kommen wir nach einem kurzen Recap zur Klärung, warum mit regelmäßigen Ein- und Auszahlungen die Reihenfolge von Renditen für unseren Anlageerfolg wichtig wird. Im Anschluss sehen wir uns an einem praktischen Beispiel an, wie stark sich das auf den langfristigen Anlageerfolg auswirken kann.

Ein kurzer Recap zum Weltportfolio

Der Endwert des Portfolios nach 40 Jahren ist in der Vergangenheit in Abhängigkeit vom Einstiegszeitpunkt etwa um den Faktor 4 geschwankt. Als Grund haben wir die einseitige makroökonomische Ausrichtung des Portfolios auf hohes Wachstum und niedrige Inflation ausgemacht.

Oft hören wir als Argument, dass Aktien ja langfristig steigen und – gemessen über die letzten 125 Jahre – doch je nach Index 5, 6 oder gar 8 % zugelegt haben.

Das Problem ist allerdings, dass unser Anlagehorizont nicht so lange ist. Nur ein Bruchteil davon fällt in ‚unsere Zeit‘ als Anleger. Weil die Renditen von Jahr zu Jahr aber enorm schwanken und Einbrüche auch schon einmal gute 10 Jahre dauern können, braucht eine Aktieninvestorin Glück, dass ihr Leben mit ‚ihren‘ 40 Jahren Anlagedauer in eine günstige Zeitperiode fällt. Buy and Hold – and don’t forget to Pray.

Einmalanlage: Reihenfolge der Renditen macht keinen Unterschied

Nicht verwirren lassen darf man sich allerdings davon, dass innerhalb eines festgelegten Anlagezeitraumes die genaue Abfolge der Renditen keine Rolle spielt.

Zumindest, solange die einzelnen Renditen gleich bleiben.

Es macht keinen Unterschied, ob eine Anlage von 100 EUR im ersten Jahr um 8 % wächst und dann um -1 % fällt, oder ob sie zuerst um -1 % fällt und im zweiten Jahr um 8 % steigt. Am Ende steht da derselbe Betrag (106,92 EUR) und dieselbe durchschnittliche Verzinsung: (6,92 %).

Ein wenig mathematischer ausgedrückt:
Man kann Zinsen über die Zeit nicht einfach so zusammenzählen. Man muss die Rendite eines jeden Jahres mit dem jeweiligen Anfangswert multiplizieren, um ein korrektes Ergebnis zu erhalten.

Dieses Multiplizieren macht Zinsrechnung relativ unangenehm und kompliziert, sorgt aber dafür, dass das Vermögen am Ende gleich ist (steigen gerade dunkle, traumatische Erinnerungen aus den modrigen Sümpfen einer längst vergessenen Schulzeit empor? Wie hieß das gleich wieder?? Kommunikativgesetz? Ah: Kommutativgesetz.)

Es macht also keinen Unterschied, ob zuerst die mageren und dann die fetten Jahre kommen, oder zuerst die große Sause und dann der Absturz. Solange sich die einzelnen Renditen nicht ändern, und solange wir eine Einmalanlage gemacht haben, finden wir am Ende den gleichen Betrag auf dem Konto.

Regelmäßige Raten: Ein neues Risiko

Einmalanlagen sind allerdings nicht das, womit die meisten Sparerinnen sparen.

Die meisten Menschen mit regelmäßigem Einkommen werden in jedem Monat einen festen Betrag davon nehmen und in die Altersvorsorge investieren.

Umgekehrt verprassen wir in der Rente ja auch nicht das ganze Depot auf einmal, sondern wollen idealerweise jeden Monat oder jedes Quartal etwas entnehmen, am besten noch angepasst um die Inflation.

Mit regelmäßigen Ein- und Auszahlungen wird das Depot allerdings verletzlich gegenüber einer Änderung der Abfolge der Renditen. Die Wahl des Einstiegs- und des Ausstiegszeitpunktes für das Vermögen wird noch entscheidender.

Ein praktisches Beispiel.

Der MSCI World ist ein beliebter Index für das Weltportfolio und für Aktienanlagen insgesamt. Es gibt Daten zurück bis Ende 1969:

msci eur

Dargestellt ist der Kursverlauf inklusive Ausschüttungen in Euro – wir wollen ja die Situation einer deutschen Anlegerin ansehen (Natürlich gab es damals noch keine ETFs. Noch nicht einmal den MSCI ACWI. Aber das ändert nichts an der Überlegung.)

Nehmen wir gleich das Jahr 1969 und nehmen an, dass eine Anlegerin in diesem Jahr in Rente geht und ein Aktienportfolio von 1 Million EUR (oder in damaligen Deutschen Mark, auch das macht keinen Unterschied) mit in den Ruhestand nimmt.

Die 60er waren eine bewegte Zeit. Es war die Zeit von Marilyn Monroe, von der ersten Mondlandung, von Woodstock. Aber auch die Zeit des Wettrüstens, des eskalierenden Ost-West-Konfliktes, der Kuba-Krise, des Vietnamkrieges, der Ermordung John F. Kennedys und Martin Luther Kings. Und von Rassenunruhen in den USA. Es war eine bewegte Zeit. Aber es war keine Zeit finanzanlagentechnischer Katastrophen. Unsere Anlegerin entschließt sich also frohen Mutes, mit ihren Aktien in Rente zu gehen und aus dem dicken Aktientopf jedes Jahr 4 % plus Inflationsausgleich zu entnehmen (diese 4 % beziehen sich auf den Wert des Portfolios bei Rentenstart. Der Betrag wird dazu jedes Jahr um die Inflation erhöht. Das ist in der Finanzplanung eine weitverbreitete Daumenregel, die sogenannte ‚Four Percent Rule‚).

Schauen wir uns an, was über die nächsten 30 Jahre bis in das Jahr 2000 passiert. Das Bild oben ist ja durchaus verheißungsvoll. Es waren hervorragende Jahre für Aktien. Der MSCI World hat in dieser Zeit im Durchschnitt unglaubliche 9,5 % pro Jahr zugelegt.

Unsere Anlegerin macht dagegen kein glückliches Gesicht. Sie wäre in diesem Szenario nach 18 Jahren pleite gewesen. Das Portfolio wäre komplett aufgebraucht. Sieht über die Zeit so aus:

entnahme4prozent

(Leider habe ich keine früheren Daten für den MSCI World. Gerechnet mit dem amerikanischen S&P 500-Index wäre sie bei Beginn Mitte der 1960er Jahre sogar schon nach 14 Jahren pleite gewesen.)

Wie sieht es aber nun aus, wenn wir die Renditen einfach umdrehen? Also wir nehmen an, dass die Rendite des Jahres 2000 in 1970 passiert, 2001 in 1971 und so weiter.

Wir ändern damit nichts an der Gesamtrendite über die Zeit. Die bleibt bei 9,5 % pro Jahr.

In diesem Fall wäre unsere Anlegerin nicht nur die Pleite erspart geblieben. Das Portfolio wäre nach 30 Jahren 7,2 Mio. EUR wert gewesen – trotz aller Entnahmen.

entnahme4prozent umgedreht

Dieses Beispiel verdeutlicht das Problem super, wie ich finde.

In beiden Fällen bleibt die Durchschnittsrendite unverändert. Und doch geht das Portfolio in dem einen Fall durch die Decke, während es im anderen Fall abstürzt wie ein Stein.

Wir sehen also: Die Durchschnittsrendite hat für den langfristigen Anlageerfolg mit Ein- und Auszahlungen noch weniger Bedeutung, als sie es mit einer Einmalanlage hat. Sobald wir etwas regelmäßig einzahlen oder auszahlen, gibt es ein ganz neues Risiko, mit dem wir uns zusätzlich herumschlagen müssen.

Dieses Risiko nennt man ‚Sequence of Returns Risk‘ (oder auf Deutsch etwas sperrig ‚Renditefolgerisiko‘).

Was passiert da eigentlich?

Was im Detail passiert, lässt sich gut an folgender Grafik zeigen.

Wenn wir fürs Alter einige Jahrzehnte ansparen und dann mit Renteneintritt entsparen, sieht die Entwicklung des Vermögens – etwas stilisiert – folgendermaßen aus:

vermoegensverlauf generisch

Es gibt zwei Perioden, in denen wir das meiste Geld auf der hohen Kante haben:

  1. Kurz vor Beginn der Rente
  2. Kurz nach Beginn der Rente

Weil absolut betrachtet während dieser beiden Zeiträume die höchsten Summen im Depot angelegt sind und verzinst werden, sind die Renditen, die wir während dieser beiden Perioden erzielen, am wichtigsten für den Verlauf unseres Vermögens.

Die Ergebnisse in unserem konstruierten Beispiel sind deshalb so unterschiedlich, weil es zwei unterschiedliche Marktphasen gibt:

  • Von 1969 bis 1980 passiert am Markt in Summe nichts. Der Index stand Anfang 1980 exakt da, wo er 10 Jahre früher stand (was aber nicht bedeutet, dass es während dieser Zeit keine Schwankungen gab. Ganz im Gegenteil, da gab es mittendrin die beiden Ölkrisen mit autofreien Autobahnen. Und eine stark ansteigende Inflation. Unsere Anlegerin brauchte dazu also noch einen guten Magen).
  • Die zweite Periode ab 1981 war dagegen der Traum jedes Aktien-Anlegenden. Bis zum Platzen der Dotcom-Bubble im Jahr 2000 ging es mit wenigen Ausnahmen nur steil nach oben.

Man sieht, dass die so wichtige ‚Kurz nach Beginn der Rente‘-Phase im ersten Beispiel in eine Zeit niedriger Aktienrenditen fiel. Als der Markt zehn Jahre später zum Durchstarten ansetzte, war durch die Entnahmen im Portfolio nicht mehr genügend übrig für eine nachhaltige Erholung.

Ganz anders im zweiten Beispiel mit der orangen Kurve. Man sieht zwar, dass auch dieses Portfolio während der schlechten Jahre strauchelt (jetzt ganz am Ende rechts). Aber weil die ersten Jahre so gute Renditen lieferten, war zu diesem Zeitpunkt schon so viel ‚Masse‘ im Depot, dass auch die durch die Inflation höher gewordenen Auszahlungen es nicht mehr zum Ausbluten gebracht haben.

Zusammenfassung

Dieses Sequence of Returns-Risiko ist unglaublich relevant für jeden und jede, die sich über langfristige Finanzplanung hermacht. Die Sicherheit, die eine gute durchschnittliche Rendite suggeriert, ist trügerisch. Die meisten Anleger und Anlegerinnen sind sich dieser Risikoquelle nicht bewusst.

Aus dem ersten Artikel über das Weltportfolio wissen wir, dass ein ganzes Investorenleben nicht genügt, um aus alleine aus Aktien eine sichere Anlage zu machen. Regelmäßige Ein- und Auszahlungen führen dazu, dass es nicht mehr nur wichtig ist welche Renditen ich mit meinem Anlegerleben aus der Lottotrommel gezogen habe (ob mein Anlegerleben zufällig in eine positive Epoche fällt), sondern auch noch, in welcher Reihenfolge ich sie ziehe.

Dieses Problem ist umso größer, je stärker ein Investment über die Zeit schwankt, und je länger die Einbrüche dauern.

Wie soll ich damit als Anleger oder Anlegerin am besten umgehen? Schließlich legen dich die meisten in regelmäßigen Tranchen an. Welche Möglichkeiten habe ich?

Darüber sprechen wir in einem künftigen Blogartikel.

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Dr. Christof Sigl-Grüb

Finanznerd. Vermögensverwaltungs-Veteran. Und Papa von Paul.

Christof hilft Menschen dabei, ihr Geld selbst besser anzulegen.
Wo andere bei der Geldanlage aufhören, fängt er erst richtig an.

Er liebt alles mit Finanzen und Geldanlage. Er hat ein klassisches BWL-Studium, eine Promotion und fast 20 Jahre Berufserfahrung im Private Banking, Financial Planning und als Portfolio Manager im quantitativen institutionellen Asset Management.

Trotzdem kann man meist verstehen, was er sagt.

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2 Kommentare

  1. Lieber Christof,
    vielen Dank für Deine so leicht erklärte Infos zu Finanzmarkteinschätzungen.
    Es macht richtig Spass diese Fachartikel zu lesen.
    Danke für die regelmäßigen News und Erklärungs-Verlinkung. So kann ich in verdaulichen Happen mein Wissen vertiefen.
    Super-Tips und Super-Aufbereitung.
    Herzliche Grüße
    Anne-Marie

    1. Liebe Anne-Marie,
      vielen Dank für Deinen netten Kommentar. Es freut mich sehr, dass Dir die Artikel tatsächlich weiterhelfen. Das ist genau, was sie tun sollen.
      Christof

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