Wie du mit dem MSCI World am besten Geld verlierst
Wie legt man sein Geld selbst an?
Die meisten Finfluencer haben die gleiche Antwort darauf: mit dem Weltportfolio. Du kaufst dir einen global anlegenden Aktien-ETF auf den MSCI World oder MSCI All Country World Index als ‚risikoreichen‘ Teil deiner Anlagen – je nach persönlicher Risikoneigung z.B. zu 60 % – und füllst den Rest, den ‚risikoarmen‘ Teil mit Staatsanleihen auf.
Lief jahrzehntelang wunderbar, ist an Einfachheit nicht zu überbieten und kommt mit einer sehr eingängigen Story: Du hältst ein weltweit supergut diversifiziertes Aktienportfolio. Aktien steigen langfristig immer. Deshalb darfst du nur in Krisen nie aussteigen. Also, kauf dir kostengünstige ETFs und halte, was das Zeug hält. Mit ein paar Klicks die ganze Welt ins Depot holen. Sympathisch einfach.
In diesem Blogartikel möchte ich dieses bekannte Konzept mit einer eher ungewöhnlichen Frage neu betrachten:
Eine ungewöhnliche Sichtweise auf den MSCI World
Vor einiger Zeit ist Charlie Munger verstorben, langjähriger Geschäftspartner und Best Buddy von Warren Buffett. Charlie Munger ist bekannt für seine ‚Mental Models‘: Betrachtungsweisen, die ihm halfen, sich Investitionsentscheidungen und dem Leben überhaupt möglichst gut zu nähern.
Ich mag seine Art zu denken sehr. Sein wohl bekanntestes Model – an dem ich mich selbst immer wieder versuche – lautet schlicht: „Always Invert!“. Soll heißen: Wann immer du die beste Lösung für ein Problem suchst: Dreh es um, frag nach dem exakten Gegenteil. Dann weißt du, auf was du besonders achten musst.
Heißt in diesem Fall konkret:
Was muss passieren, damit das Weltportfolio möglichst schlecht läuft?
Welcher Markt zwingt das Weltportfolio am stärksten in die Knie? Welcher ist der eine Markt, der den meisten Schaden anrichtet, wenn es nach unten geht?
Im Weltportfolio gibt es Aktien und Anleihen. Du weißt aus diesem Artikel hier, dass die Schwankungen des Weltportfolios zu gut 95 % von den Aktien kommen. Sie schwanken viel heftiger als Anleihen, ihr ‚Risikobeitrag‘ ist deshalb deutlich höher – bei einer durchschnittlichen Aktien-Anleihen-Mischung ist er ungefähr 19 Mal höher. Macht ja auch intuitiv Sinn. Anleihen sollen den ‚risikoarmen‘ Teil darstellen (es gibt aber auch Ausnahmen. 2022 zum Beispiel haben Anleihen – angetrieben durch die damaligen Zinserhöhungen – außergewöhnlich scharf korrigiert).
Das Weltportfolio ordentlich in die Binsen gehen zu lassen, geht am einfachsten mit den enthaltenen Aktien. Wenn wir uns die Zusammensetzung von MSCI World und MSCI AC World ansehen, wird auch ganz schnell klar, auf welchen Markt wir uns dabei fokussieren sollten: die USA.
Du wirst vermutlich bereits wissen: Der Anteil der USA beträgt darin aktuell 72 % im MSCI World und 64 % im MSCI ACWI. Zwei Drittel des gesamten Risikobeitrags in unserem Weltportfolio kommt also von einem einzigen Land. Und das mit riesigem Abstand. Das nächst wichtigste Land ist Japan, mit jeweils nur rund einem Zehntel Gewicht (ca. 5,8 % bzw. 5 %).
Damit ist umgekehrt auch klar, warum das Weltportfolio über die letzten 15 Jahre so gut lief: Wegen den USA (und dort insbesondere den Tech-Werten).
Warum lief es für die USA so gut?
China hielt den USA die Inflation vom Hals
Vor allem in den 2000er- und 2010er-Jahren wurde China (und zu einem geringeren Teil andere, damals weniger entwickelte asiatische Länder) zur globalen Werkbank: Westliche Firmen ließen dort günstig produzieren, zu einem Bruchteil der Kosten in den USA.
So blieben Waren billig und Konsumenten konnten sich wesentlich mehr leisten. Die Folge war eine regelrechte Flut von Waren aus China Richtung Westen. Jeder kennt den ‚Made in China‘-Aufdruck auf fast jedem beliebigen Produkt.
Diese unheimlich günstige Produktion bedeutete, dass in der westlichen Welt, und besonders in den USA, Verbraucher der Nachfrage frönen und konsumieren konnten, ohne dass sie die Preise nach oben trieben. Besonders amerikanische Konsumenten haben davon regen Gebrauch gemacht. Konsumenten sind eine unheimlich starke Kraft in den USA.
Waren blieben trotz hoher Nachfrage günstig. Inflation wurde in dieser langen Zeit nie zu einem Thema (man kann auch sagen: China hat ‚Deflation exportiert‘).
Man darf die ungeheure Nachhaltigkeit dieses Effekts nicht unterschätzen. Kann man sich gut etwa am Vergleich der Energiepreise mit der Inflationsrate in den USA verdeutlichen: Energie ist einer der wichtigsten Kostenfaktoren für Produkte. Wenn Energie teurer wird, schlägt sich das normalerweise sehr schnell auf die Produktpreise durch – was nichts anderes bedeutet als: Wir erleben Inflation.
2006 herum war eine Ausnahme. Damals stiegen Energiepreise, aber anders als in all den früheren Jahren ist die Inflation dadurch kaum angestiegen.

(Quelle Daten: fred.stlouisfed.org)
Handelserlöse flossen zurück in den amerikanischen Kapitalmarkt
Die USA haben in dieser Zeit immer deutlich mehr importiert als selbst in andere Länder verkauft. Das ist dieses „Handelsbilanzdefizit“, das Donald Trump mit Einfuhrzöllen so vehement bekämpfen möchte.
Ein Handelsbilanzdefizit bedeutet auch: Sie haben mehr Geld in der Welt ausgegeben als eingenommen. Was haben China & Co nun mit einem großen Teil dieser Erlöse gemacht? Am Kapitalmarkt angelegt. Und zwar am größten überhaupt: dem der USA. Das hat dazu geführt, dass Ausländer heute die unglaubliche Summe von rund 26 Billionen USD (das ist eine 26 mit 12 Nullen) an amerikanischen Anleihen und Aktien halten.
Schließlich kamen noch fallende Zinsen dazu
Die USA haben für Waren und Dienstleistungen Geld im Ausland bezahlt, das zu einem Teil wieder in die US-Märkte zurückgeflossen ist. Billige Importe plus der stetige Geldstrom haben auf die US-Wirtschaft wie ein ständiger Wirtschafts-Booster gewirkt, das war Rückenwind in Sturmstärke.
Das war aber nicht alles: Weil all der Konsum nicht zu Inflation führte, konnten Amerikas Notenbanker beim kleinsten Anzeichen von wirtschaftlichen Problemen einen heilsamen Booster in Form einer Zinssenkung verabreichen. Das haben sie wieder und wieder gemacht. Kredite wurden spottbillig, Firmen konnten günstig wachsen, und Anleger wurden fast schon genötigt, ihr Geld aus sicheren Häfen in riskantere Anlagen wie Aktien umzuschichten. Das hat allen Anlageklassen in den USA einen unvergleichlichen Auftrieb beschert (daher kommt der berühmt gewordene Ausdruck ‚Fed-Put‘. Also die Sicherheit, dass die Zentralbank es schon wieder richten wird, wenn Probleme kommen).
Sieht man sich die Zinsentwicklung seit den Siebzigerjahren grafisch an, ist das sofort augenfällig:

(Quelle: fred.stlouisfed.org)
Jahrzehntelang gab es in den USA also das perfekte Sommerwetter für Kapitalmärkte: Kaufrausch in den USA, Produktionspower in China, Kapitalrückfluss an die Wall Street und jahrzehntelanger Rückenwind für Aktien & Co. von der Zinsseite. Dieses Sommerwetter hat zu den heutigen, im Vergleich mit den meisten anderen Märkten, sehr hohen Bewertungen geführt. Natürlich hat auch Tech und KI seinen berechtigten Anteil daran.
Wie wahrscheinlich ist es, dass der wichtigste Markt fürs Weltportfolio so weiter steigen?
Eher unwahrscheinlich.
Es muss nicht unbedingt ein großer Crash drohen morgen früh. Als Investierende müssen wir jedoch mit der Tatsache umgehen, dass viele dieser Rückenwinde inzwischen weggefallen sind oder sich sogar in starken Gegenwind verwandelt haben:
- China ist jetzt Konkurrent statt Welt-Werkbank. Das Land wird nicht mehr zu niedriger Inflation in den westlichen Ländern beitragen.
- Überall wird die Produktion wieder nach Hause geholt und Lieferketten geografisch verkürzt. Die Umstellung verursacht hohe Kosten. Auch wenn es aktuell nicht so aussieht, wir bzw. die USA werden weiter mit dem Thema Inflation zu tun haben.
- Die Zinssenkungen der letzten 40 Jahre – ebenfalls verantwortlich für höhere Marktbewertungen – sind in diesem Ausmaß nicht wiederholbar (wir wären sonst bei Zinssätzen von gut -11 %).
- Der Strom des frischen Geldes aus dem Ausland, der den Märkten nach oben geholfen hat, ist deutlich abgeebbt. Aus verschiedenen Gründen sind künftig eher Geldflüsse in Gegenrichtung zu erwarten.
Es gibt noch einiges mehr, was den USA in den nächsten Jahren eher zu schaffen machen dürfte:
- Die USA haben ein massives Problem mit ihrer jährlichen Neuverschuldung. Staatsausgaben befeuern die Konjunktur, ein dringend nötiges Zurückfahren würde sich negativ auf Wirtschaft und Kapitalmärkte auswirken.
- Ein entscheidender Grund für die gestiegenen Unternehmensgewinne in der Vergangenheit (mit denen die hohen Bewertungen oft gerechtfertigt werden) waren schlicht Senkungen der Unternehmenssteuern. Auch da wird nicht mehr annähernd so viel nachkommen können.
- Neue Technologien und AI werden ohne jede Frage unser Zusammenleben stark verändern. Es bleibt aber zweifelhaft, ob das so schnell sein wird, wie allgemein erwartet. Bis sie die Produktivität in Unternehmen auf breiter Front verbessern, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit noch einige Jahre ins Land gehen (so war es auch mit dem Internetboom Ende der 90er Jahre).
- Die USA sind ein vergleichsweise teurer Markt. Je teurer ein Markt ist, umso weniger Luft gibt es für weitere Anstiege.
Was das alles bedeutet
Was man also mit Charlie Mungers „Always Invert“-Ansatz gesehen sieht:
Egal, ob du den MSCI World oder den MSCI All Country World in deinem Depot besparst: Der fulminante Anstieg des Weltportfolios über die letzten 20 Jahre kam nicht aus dem Nichts. Es war die Konsequenz aus dem Zusammenspiel von Chinas günstiger Produktionskraft, der vornehmlich amerikanischen Konsumlust und dem steten Rückfluss der Handelserlöse zurück in die USA. Und mit dem immer mehr steigenden Gewicht der USA in den Weltaktienindizes wurde das Weltportfolio dem gegenüber immer exponierter. Führt man dieses Portfolio unverändert fort, geht man also eine aktive Wette darauf ein, dass die Dinge so rosig bleiben.
Dieses Zusammenspiel war historisch gesehen allerdings besonderes. Es gibt keinen echten Grund zu glauben, dass das für alle Zeit so bleiben muss. Aus der Geschichte wissen wir: Veränderung kommt am Ende immer. Und einige erste Ausläufer dieser Veränderungen sehen wir bereits. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass künftige Renditen grundlegend anders aussehen werden.
Was du machen kannst
Falls du selbst in das Weltportfolio investierst und vielleicht etwas unruhig geworden bist: Es gibt mehrere Dinge, die du jetzt tun kannst, um dich besser aufzustellen.
Falls du einen ‚Quick Fix‘ suchst: Es gibt auch ETFs auf Indizes, die ein niedrigeres oder überhaupt kein USA-Gewicht haben und dennoch global gestreut investieren. Du könntest deinen Aktienanteil teilweise oder ganz dahin umschichten.
So gibt es etwa den MSCI World Equal Weight. Er hat genau dieselben Aktien wie die Kapitalmarkt-gewichtete MSCI World (rund 1.600), aber eben alle gleich gewichtet, statt nach Marktkapitalisierung. US-Unternehmen haben darin ein Gewicht von rund 40 %, also etwas mehr als die Hälfte. Größter ETF ist hier der „Invesco MSCI World Equal Weight UCITS ETF Acc“ (ISIN: IE000OEF25S1).
Eine andere Möglichkeit wäre der MSCI World ex USA. Wie der Name schon suggeriert, komplett ohne USA-Anteil. Größter ETF auf diesen Index ist der Xtrackers MSCI World ex USA UCITS ETF (ISIN: IE0006WW1TQ4).
Ich weiß, dass ich mich damit gegen die Meinung der meisten Finfluencer stelle. Aber ich halte nicht nur wegen des hohen USA-Anteils nicht sehr viel vom Weltportfolio für die Altersvorsorge. Falls du dort tiefer einsteigen möchtest und dir die konstruktionsbedingten Nachteile des Weltportfolios ansehen willst, dann empfehle ich dir meinen Artikel hier.
Warum das Weltportfolio nicht gut zur Altersvorsorge geeignet ist
Er erklärt, was ich als Probleme sehe und was du damit tun kannst.

Dr. Christof Sigl-Grüb
Finanznerd. Vermögensverwaltungs-Veteran. Und Papa von Paul.
Christof hilft Menschen dabei, ihr Geld selbst besser anzulegen.
Wo andere bei der Geldanlage aufhören, fängt er erst richtig an.
Er liebt alles mit Finanzen und Geldanlage. Er hat ein klassisches BWL-Studium, eine Promotion und fast 20 Jahre Berufserfahrung im Private Banking, Financial Planning und als Portfolio Manager im quantitativen institutionellen Asset Management.
Trotzdem kann man meist verstehen, was er sagt.